Archiv - 2011 "Malerei" Buchhandlung Braun & Hassenpflug

2011 "Malerei" Buchhandlung Braun & Hassenpflug, Berlin
Ausstellungseröffnung Beatrix Grohmann Malerei 27. August bis 28. Oktober 2011

Phänomene von Fläche und Raum

Aktuelle Arbeiten der Malerin Beatrix Grohmann hat sie hier als ein großes Ganzes, als komponiertes System, zusammengestellt, verbunden vor allem durch ihre eigenwillige Farbpalette. Grohmanns Malerei hat Besitz ergriffen vom Galerieraum Braun & Hassenpflug. Sie sehen viele kleinformatige Werke, und Sie sehen ein ganz großes, den Paravent in der linken Ecke. Er zeigt das Potential: Grohmann gestaltet auch ganze Räume, macht Malerei begeh- und erlebbar. Dieser Paravent mit dem Titel „Gespiegelt“ zeigt im Großen, worum es Grohmann geht. Visuell und emotional soll Raum erforscht und erobert, visuelles Denken angeregt werden. 2009 hat die Züricher Galerie Hubert Bächler fünf dieser Paravents als Rauminstallation präsentiert, in der Art eines Parcours. Einen davon sehen Sie hier. In der Grohmannschen Formensprache wird eine Komposition, eine Positivform (rechts) auf der linken Seite als Spiegelung wiederholt. Diese Spiegelung ist mathematisch genau konstruiert, aber sie ist komplett „erfunden“. Grohmann stellt vertrackte optische Phänomene, Illusionen, schon auf der rechten Leinwand dar. Zwei große Formen scheinen zu schweben im Vordergrund, sie schweben durch ihre helle Farbgebung und durch die rhythmischen gelben Flächen auf ihrer Oberfläche. Sie werfen - wiederum genau berechnete - dunkelblaue Schatten auf ihren Hintergrund. Links geht es - in Spiegelung - weiter, auf einem trapezförmigen, sprich perspektivisch verkürzten Lichteinfall, der von der rechten Seite zu kommen scheint. Die gespiegelten Großformen wiederholen sich dort, Flächen der rechten Seite haben sich links in Umrisslinien gewandelt. So KÖNNTE es sein.
Ähnlich verhält es sich bei den „Interieurs“, Sie sehen vier dieser Arbeiten in unserer Ausstellung. Wiederum arbeitet Grohmann mit klaren abstrakten Formen, die sich rapportartig wiederholen, jedoch variiert sind als Fläche oder Umriß, zudem variiert in Farben, die nach vorne kommen oder zurücktreten. Diese vierteiligen Arbeiten erzeugen die Illusion einer Ecke auf der Fläche: Die ganze Wand, nicht mehr allein die Lein-Wand, wird zum Bildträger. Diese Kunst ist „raumgreifend“.
Und auch hier geht die Aufforderung an Sie, die Betrachter, sich einzulassen, Ihr visuelles Denken zu bemühen, zu überprüfen, wie es sich verhält mit dem Phänomen optischer Raumbildung und Tiefenillusion auf der Fläche.
Dreidimensionale „Schaukästen“ geben wiederum eine von Beatrix Grohmann gefundene Form in Variationen wieder, die sich für sie bewährt hat. Sie erinnert fern an etwas Vegetabiles, vielleicht ein Blatt. Diese Form wird stets wiederholt und immer verwandelt und erzählt in diesem Prozeß die Geschichte von Form, Farbe und Komposition. Die Funktion dieser Form hat sich durchgesetzt in
Grohmanns Bild-Universum: sie ist vielseitig einsetzbar, ist flexibel, zerlegbar, wandelbar. Grohmann interessiert sich allein für die Faszination dieser Vielseitigkeit und ermöglicht uns mit diesen Schaukästen das Studium ihrer klar definierten und logisch durchstrukturierten Metamorphosen. Zusätzliches reizvolles Moment der Tiefenillusion auf der Fläche ist die Kastenform und der hinterlegte farbige Schatten, das heißt auch hier wird die Fläche raumgreifend und sprengt ihren Bildrahmen.
Neueste Arbeiten beruhen auf der gleichen Herangehensweise, nehmen jedoch gänzlich andere Anregungen auf: Diese sind Grisaille-Malereien aus Altären des Rogier van der Weyden, einem der Gründungsväter der niederländischen Malerei im 15. Jahrhundert.
Zwei biblische Szenen hat Grohmann ausgewählt, an denen sie Wahrnehmungsphänomene durchdekliniert. Zum einen ist es die berühmte Szene der „Verkündigung“ des Erzengels Gabriel, der Maria erscheint, um ihr die Geburt Christi als ihrem Sohn zu offenbaren. Zum anderen eine Szene aus dem Martyrium Johannes des Täufers (aus Rogiers „Johannesaltar“ in der Berliner Gemäldegalerie am Kulturforum Potsdamer Platz), in der die Schergen des Herodes Johannes in den Kerker werfen. Das alles aber ist nicht von primärem Interesse für Beatrix Grohmann. Es bleibt dabei, denn das ist ihr künstlerisches Grundthema, dass sie mit Form, Farbe, Linie, Komposition, mit den malerischen Mitteln, inszeniert, bewegliche Überschneidungen, Variationen schafft, dass sie mit ihren Mitteln und mit ihren Fragestellungen die Geschichte, und zwar die Geschichte von Vorder- und Hintergrund, vom Bild-Raum präsentiert. Wie bei den „Schaukästen“ geht der Bildträger in die dritte Dimension und erinnert damit an Reise- oder Hausaltäre. Daß Form, Muster, Ornament hier auch eine inhaltliche Komponente mit sich bringen, nämlich die Begegnung zwischen der göttlichen Offenbarung in Figur des Erzengels und der Taube des heiligen Geistes mit der werdenden Gottesmutter Maria, ist von sekundärer Bedeutung, wird jedoch mit in’s Kalkül gezogen: So in der Verkündigungs-Version mit „verdoppeltem“, mit überschnittenem Personal, mit zwei Erzengeln auf der linken, zwei Marien auf der rechten Seite. Beatrix Grohmann erzählt, dass ihr bei der Entstehung dieser Version in den Sinn gekommen sei, wie eine innere Stimme aus der Figur heraustritt, die wie eine zweite Verkörperungen der gleichen Figur ungläubig das unglaubliche Geschehen kommentiert.
Die „Türme“, Holz-Objekte in fünf verschiedenen Variationen, spielen mit dem Thema von Bildraum und Bildtiefe. Anders als bei den „Verkündigungen“ wird das Inhaltliche der Johannes- Einkerkerung hier durchaus benutzt zur Hinterfragung des Phänomens von Fläche und Raum. Die Distanz zwischen dem Schergen und Johannes ist definiert durch Farbraum-Differenzen, mal scheint er ganz nah, mal fern seinem Opfer. Hier berühren sich zwei Welten: Die Malerin ist es gewohnt, ist sehr darin geübt, Vorder- und Hintergründe miteinander zu verschränken, um die Wahrnehmung auf die Probe zu stellen. Und hier, in dieser gegenständlichen Szene, bestimmt von Dramatik und Bedrohung, erlebt Grohmann, wie unterschiedlich sich ihre Technik auf diese kleine Szenerie auswirkt, wie sich Formales und Inhaltliches auf verblüffende Weise miteinander vermählen.
Professor Jörn Merkert, vormaliger Direktor der Berlinischen Galerie, schreibt über Beatrix Grohmann im 1998 von Günter und Waldtraut Braun herausgegebenen Katalog, Zitat: Die Bilder stehen nicht für etwas. Sie sind Bilder über Bilder in der Sprache der Bilder, Bilder aus Bildern, mit Bildern und in Bildern. Und weiter, Zitat: In souveräner Selbstbestimmung spielt Beatrix Grohmann die Realität des Bildes, des Abgebildeten, des Zeichens und der reinen Abstraktion gegeneinander aus und gibt dem Bild damit alle erdenklichen Freiheiten zurück.
Wir laden Sie nun herzlich ein, sich auf Beatrix Grohmanns Bilder einzulassen, Ihre Wahrnehmung herausfordern zu lassen!

Dr. Bettina Held, 19. August 2011